Kein Zweifel: Venedig ist traumhaft schön- einschließlich der Blicke aus dem Fenster auf den Hinterhof. Die Sonne, die Leichtigkeit der italienischen Lebensart, die Ästhetik der Stadt mit diesem Prunk, der alten Kunst und dem morbiden Ambiente: das hat Wirkung und stimmt einen postiv, macht leicht und lässt die Schwere nördlich der Alpen vergessen.
Und die Entdeckung der Kunst in dieser verwinkelten Stadt „per pedes“ war eine gelungene Form der Erschließung dieses Raumes. Gekoppelt wurden touristisches und künstlerisches Interesse, Interesse an den Sehenswürdigkeiten der Stadt und der momentan im Stadtgebiet existenten Kunst.
Im Tagebuch stand:
VIELE MENSCHEN
GEMEINSAM UND DOCH FUER SICH
ALLEINE / ALLEINE?
BISWEILEN ZAGHAFTE
BLICKKONTAKTE
FLÜCHTIG UND SCHNELL
WAS WIRD DARAUS WERDEN?
Christoph Schlingensief im deutschen Pavillon des Giardini und Anton Ginzburg im Palazzo Bollani in der Stadt waren die durchschlagendsten Eindrücke der ersten beiden Tage.
Anton Ginzburgs Installation „at the back of the northwind“ habe ich im Wirrwar der Strassen gesucht und erst als ich die gezielte Suche schon aufgegeben hatte, durch Zufall gefunden. Der gesamte Palazzo war „Hyperborea“, das mythologische Land, die Region „beyond the Boreas“, in der russischen Region der nördlichen Gulags. Ginzburg, gebürtig aus St. Petersburg, hatte diese gedankliche Welt in Bildern, Skulpturen, Bildern und Videos beeindruckend real werden lassen. In der Hitze Venedigs eine wohltuende Reise in eine kühle Region mit umfassender Visualität, in der man sich verlieren konnte.

Christoph Schlingensief habe ich am zweiten Tag gesehen, im deutschen Pavillon auf dem Gardini, als ersten Pavillon des Tages. Und das hat geprägt. Man kann darüber streiten, ob Kunst bis in diese Tiefen der Selbstdarstellung gehen muss. Aber wie es geschehen ist, war absolut unter die Haut gehend, war absolut überzeugend, wenn auch hart an der Grenze zur „Heldenverehrung“.
Worin lag diese ins schwarze treffende Wirkung? Es war dieser Mix aus beuysschen Elementen, der filmische Rückgriff auf Fluxus, die Einbettung aller ästhetischen Elemente in den Nachbau eines Kirchenraumes, die auf emotionalierende Wahrnehmung abzielende Gestaltung des Raumes. Und nicht zuletzt die Konfrontation mit intimen Selbstdarstellungen Schlingensiefs in seinem Kampf mit dem Krebs. Die Grundthemen unserer menschlichen Existenz „Leid, Schicksal, Liebe, Tod, Schicksal, Sinn“ wurden komprimiert öffentlich und nah. Es waren echt starke, aufrüttelnde Bilder. Ungeschönt. Ehrlich. Direkt.