Schubladen sind ja eigentlich gut. Sie schaffen Ordnung. Wenn man will. Bevor man etwas in eine Schublade legt, muss man allerdings entscheiden, was da hineingehört. Es geht um Entscheidungen, um Kriterien, Orientierungspunkte.
Juergen meinte heute morgen, dass er gedanklich immer wieder mal über die Schublade „Kunst“ stolpere. Er wisse nie, was da hineingehöre. Es gäbe Menschen, die das mit traumwandlerischer Sicherheit sagen könnten. Die hätten offensichtlich eine Ahnung und ein Koordinatensystem. Er nicht.
Irgendwo habe er aber auch gelesen, dass selbst die Kunstgeschichtler und Kuratoren und Kunstkritiker im höchsten Grade momentan verunsichert seien, weil sich genau dieser Begriff der „Kunst“ aufzulösen beginne, nichts mehr sicher sei, keiner mehr genau wisse, was eigentlich noch Kunst sei, da ja alles Kunst sein könne. Was für ein Satz: alles könne Kunst sein!
Er frage sich auch, ob diese Schublade überhaupt von Bedeutung sei. Für ihn selbst. Ach, eigentlich frage er gar nicht mehr, denn er wisse, dass die Frage bedeutungslos sei. Irgendjemanden diene sie sicherlich, aber nicht ihm.
Also, zum wiederholten male:
Menschen sind unterwegs.
Menschen halten fest, was sie bewegt, auch um zu begreifen – mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und dem, was sie gut können. Der eine fotografiert, der andere zeichnet, der Dritte schreibt, der nächste redet, wieder einer führt Tagebuch, der nächste sammelt Zeitungsausschnitte, Fotoalben ….
Menschen wollen sich mitteilen, wollen teilen, aus welchen Gründen auch immer.
Das einzelne Leben versucht eine Form zu finden, versucht das, was geschieht, was man erlebt, in eine Form zu bringen und festzuhalten. Und es findet die Form.
Und man verändert sich, weil man sich über diese Form der Dokumentation selbstvergewissert. Und man verändert zudem klammheimlich die kleine Welt um sich herum.
Das sei alles.
Und ob das jetzt Kunst sei, könne ja sein. Aber für ihn sei diese Schublade eben ohne Bedeutung. Das Begreifen der Dinge um ihn herum sei das Wichtige. Und so vieles verstehe er dennoch nicht.
Dann gebe es noch die, die mit dieser Art des Lebens ihren Unterhalt verdienen möchten. Oder müssen. Oder wollen. Und können. Da werde es schwierig, denn bei denen gehe es ohne die Schublade „Kunst“ nicht. Oder die Schublade „Künstler“. Und es sei ja dann eine weitere Komponente im Spiel: das Geld. Und das wisse schließlich jeder: mit dem Geld komme es zwangsläufig zu Verwerfungen.
Ich habe zugehört und bin dann gegangen.
Buchalov