Heute startet der dritte Teil unserer Blogparade. Ich hatte mir zur Vorbereitung einige Fragen auf einen Zettel geschrieben, versucht, die Sachlage einzugrenzen, Rudolf den Bildhauer zu Rate gezogen, meine Tochter Swetlana befragt und mich dann nach einiger Zeit entschieden. Meine Frage lautet also:
Bedeutet künstlerisches bzw. kreatives Schaffen Flucht aus der Realität? Oder ist es Aufarbeitung der uns umgebenden Wirklichkeit?
Es wird, wie so oft, keine eindeutige Antwort geben, so vermute ich. Aber das Ausloten der beiden Positionen fände ich schon reiz- und sinnvoll. In unserer Ateliergemeinschaft fällt manchmal der Satz, dass wir dort in einer zweiten Welt leben, parallel zur Wirklichkeit, in einer Welt der Beschäftigung mit uns selbst – auf einer Insel. Meine eigenen Ansprüche und die mich faszinierende Beschäftigung mit dem Künstler und Menschen HAP Grieshaber und seinem sinngemäß wiedergegebenen Satz, dass er die Welt mit seiner Kunst verändern wollte, ihm dies aber nicht gelungen sei und er nun hier auf seiner Alm seine eigene Welt geschaffen habe, waren weitere Anlässe für mich, diese Frage aufzugreifen.
Wenn es Flucht aus der Realität ist, bewegen wir uns dann in Richtung „l’art pour l’art“. Arbeiten wir also sinnfrei? Arbeiten wir dann nur auf uns selbst bezogen? Ist kreatives Schaffen somit ein Mittel der Psychohygiene? Sind wir alleine mit uns? Spielen wir nur? Sind wir Unterhalter, Alleinunterhalter? Die künstlerischen Exoten? Und wie stehen wir dann zu unserer Verantwortung für das Ganze?
Wenn es Aufarbeitung der Wirklichkeit ist, wohin führt es dann? Was verändert dieses Tun wirklich? Wird Kunst Teil der gesellschaftlichen Prozesse? Sind wir somit politisch? Ist Kunst politisch? Produzieren wir dann gesellschaftliche Werke? Werden wir Teil einer Gemeinschaft mit ähnlichen Absichten? Was ist dann unter dem Begriff Kunst zu verstehen? Geben wir die kreative-kritische Distanz auf? Was ist mit der künstlerischen Freiheit? Wo liegen unsere Wirkungen?
Kreatives Handeln als Flucht und/oder Aufarbeitung der Wirklichkeit: darauf möchte ich es reduzieren und im Dialog mit Euch auffächern.
Am Ende der Woche wird aus den Teilnehmen der Diskussion per Losverfahren eine Person ermittelt, die als „Danke schön“ für die Beteiligung an der Aktion ein kleines Werk des Künstlers erhält (s.o.) und zusätzlich wird als Preis jeweils ein „Sternzeichenbuch“ verlost, das der Hamburger Galerist Karsten Peters gesponsort hat.
Ich bin der Dritte im Rahmen der Blogparade. Wir alle erhoffen uns eine lebhafte Diskussion zu unseren Fragen. Im Abstand von einer Woche waren und sind folgende Künstler im Netz:
- Susanne Haun Wie wichtig ist für dich die Präsentation von Kunst?
- Ute Schätzmüller Darf das Geschlecht der Künstler in der Rezeption und Beurteilung der Kunst eine Rolle spielen?
- Jürgen Küster
- Conny Niehoff
- Oliver Kohls
- Frank Koebsch
For my english readers:
Today starts the third part of our blogparade. In the last days I prepared therefore some questions, written on a piece of paper. It limited the circumstances, I consulted Rudolf the sculpture, asked my daughter Svetlana and then I did a decision. Thats my question:
Does artistic or creative work means escape from reality? Or is it the reworking of our surrounding reality?
Juergen
Lieber Jürgen,
für mich ist es beides: indem ich mich aus dem Alltag in mein Atelier zurückziehe nehme ich mir meinen (Insel-)Raum – ich würde es nicht Flucht nennen – mein Leben und meine Umwelt in einer gewissen Distanz zu verarbeiten. Und da das Private politisch ist, ist Kunst natürlich politisch, es verstehen nur nicht so viele. Deshalb wird der gesellschaftliche Wert oft vom Wert der BetrachterInnen abhängig gemacht.
Indem ich mich durch meine künstlerische Auseinandersetzung mit meinem Blick auf, in, durch und über die Welt, die Menschen und das uns alle erfüllende Göttliche (wie auch jedeR es nennen mag) trage ich meinen individuellen Beitrag zur Gesamtgesellschaft bei. Zum Beispiel haben schon viele Menschen durch meine geschaffenen Engelbilder oder Skulpturen (wieder) Kontakt zu Engeln bzw. dem Göttlichen. Indem ich mich heile durch meine Kreativität, kann ich einen Beitrag zur Erdheilung beitragen.
Gerade in der Verarbeitung von Naturfundmaterialien hat das Ganze dann auch noch einen ökologischen Wert. Mein momentaner Lieblingswerkstoff sind am Rhein bzw. Ostsee gefundene Knochen,
die durch die Verarbeitung zu Skulpturen innerhalb unserer momentanen Zeitenwende selbst eine Zeitenwende erfahren: ihr normaler Zersetzungsprozess wird verlängert und macht der BetrachterIn den Wende der Zeit klar, wenn sie es verstehen möchte.
Hoffe auf viele Äußerungen zu Deiner spannenden Frage.
Barbara
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Hallo Barbara!
Vielen Dank für Deinen Beitrag.
Ich weiß durch unsere Kontakte und Gespräche, dass Du eine besondere Sicht auf die Welt hast. Sie schimmert auch in diesem Beitrag durch, und ich versuche immer diejenigen Elemente Deines Denkens in mein Denken mit aufzunehmen, denen ich mich öffnen kann.
Der Rückzug aus dem Alltag ist sicherlich dann ein sinnvolles Vorgehen, wenn ich aus der Distanz und in Ruhe und mit genügend Zeit dieses Leben verarbeiten möchte. Zeitlich begrenzt. Denn zurück muss ich ja. So wird es auch Dir ergehen. Es bleibt die Frage: Wie schlägt man die Brücke zwischen dem Rückzugsraum und dem realen Leben?
Dass Deine Sichtweise der Welt auch einen politischen Aspekt enthält, war mir bisher nicht bekannt. Ich mache immer eine feine Unterscheidung zwischen Politischem und Gesellschaftlichem und ich weiß, dass wir mit unseren Beiträgen, wenn sie öffentlich werden, in die Gesellschaft hineinwirken. Nur wie stark und in welchem Umfang, ist mir bisher immer schleierhaft geblieben.
Alles Gute, liebe Grüße
Juergen
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Auch ich werde erst einmal über deine Frage nachdenken. Sie ist sehr vielschichtig. Spontan kann ich nur sagen, dass ich die Kunst NICHT als Flucht aus der Realität betrachte!
Ich sehe sie als ein Verarbeiten, Dokumentieren und Berichten.
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Die Vielschichtigkeit der Frage ist sicherlich ein Problem. Aber ich wollte dieses Risiko der möglichen dialogischen Zerfransung eingehen.
Und das Kunst für Dich keine Flucht ist, glaube ich Dir sofort, denn ich kenne ja Deine Arbeitsweise.
Meine Frage zielt in erster Linie nicht auf einen technischen, kunsttheoretischen, ästhetischen oder kunsthistorischen Hintergrund. Die Frage geht an den Kern unseres künstlerischen Handelns: Warum bin ich Künstler, mit welcher Absicht?
Und wenn Du beim Kunst machen verarbeitest, dokumentierst und berichtest: geht es dann um das Bewusstsein?
LG Juergen
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Was ist Realität? Im Studium hat mir mal eine Mitstudentin die Frage gestellt: Bist Du Realist? Sie hat damit eher gemeint, ob ich Dinge abbilde in meinen Arbeiten (tat ich damals nicht); ich fand die Frage interessant, ob ich mir versuche, ein reales Bild von der Welt zu machen, resp. ob ich mich ihr in aller Ehrlichkeit mit den mir eigenen Mitteln stelle.
Ich bin da einer recht klaren Ansicht: Generell sollten die Dinge, die man tut, so auch die Kunst, die Lektüre, das Musikhören, das Schwimmen, Fahrradfahren, das Ausschlafen, dazu führen, dass man sich selbst und die Welt besser versteht und somit die Dinge in den Fluss bringt.
Von Beuys gibt es die Aussage, wenn er die ganzen Zeichnungen nicht gemacht hätte, hätte er auch später seine politische Arbeit nicht machen können.
In dem Buch „Die Kunst der Zeichnung“ von Walter Koschatzky heisst es zu Beginn über die Kinderzeichnung, dass dies vor allem ein für allemal Zeichnen sei, das Vorsichhinstellen und Begreifen von Welt.
Also: Kunst ist immer eine Auseinandersetzung mit sich und der umgebenden Welt.
Man schafft sich Abbilder und Modelle, stellt sie vor sich, betrachtet sie und zieht seine Rückschlüsse. Diese Rückschlüsse können zu Erkenntnissen gerinnen und „machen etwas mit einem“. Die konzentrierte Beschäftigung mit sich, der Welt und den Abbildungen, die man sich von ihr schafft, gehen nicht spurlos an einem vorbei. Diese Veränderungen werden auch von anderen wahr genommen. Auch die entstandene Kunst wird wahrgenommen und verändert wiederum Wahrnehmung von Welt in den Köpfen der Betrachter. Diese erzählen das ggf. weiter und sagen: das musst Du Dir unbedingt einmal ansehen!
Und das Schöne dabei: wenn man Glück hat, kommuniziert man auf diese Weise sogar mit Menschen, die man gar nicht kennt, die vielleicht sogar noch nicht mal geboren sind.
Wenn Du ein Video auf Deinen blog stellst, indem Du in die Ecke sprichst, dann wird dies in irgendeiner Ecke meines Kopfes einen Ehrenplatz haben und auch meine Wahrnehmung von den Dingen verändern. Und das alles funktioniert sogar mit der oft als Kontrast gesehenen l’art pour l’art. Vielleicht nicht eine direkte Beschäftigung mit der sichtbar den Autoren umgebenden Welt, aber es werden hier Modelle geschaffen, die stellvertretend stehen für menschliches Denken und Spiel und diese verweisen somit ebenfalls wieder auf grundmenschliches Befinden und grundmenschliche Bedingtheiten. Und auch somit können sie zu Erkenntnissen führen, resp. Erkenntnis verändern.
In der hegelschen Ästhetik beginnt die Kunst (und damit gleichzeitig das menschliche Bewusstsein) mit dem Akt des Aufeinanderhäufens von ein paar Steinen (wobei es meiner Meinung nach auch ein einzelner Stein hätte sein können, den der Ur-Mensch, wann auch immer, im Bewusstsein seines Tuns vor sich hinstellt): Er betrachtet die Steine und kapiert: das hier ist keine Natur, dies hier habe ich selbst gemacht, und dadurch kapiert er nicht nur, dass er dazu in der Lage ist, solche Dinge zu tun, die Natur zu verändern und die Welt zu gestalten, sondern er kapiert auch mit einemmal, dass er sich dessen auch bewusst sein kann. Die beschreibt Hegel als der ersten künstlerischen Akt. Dazu kommen dann später diverse Verfeinerungen, natürlich auch Betrachter. Und das ist für mich ein für alle mal der Urgrund künstlerischer Tätigkeit.
C’è tutto.
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Hallo Klaus!
Danke für Deinen ausführlichen Beitrag.
Ich freue mich, dass wir eins gemeinsam haben: wir verstehen das, was wir als Kunst tun als Teil von vielen Dingen des Alltags und wollen verstehen und wollen bewegen und uns auseinandersetzen. Das Du dabei die Wirkungen, (auch wenn sie nicht genau messbar sind und wir vielleicht nur die Wirkungen in uns , bei uns selbst genau fassen können), in den Blick nimmst, halte ich für wichtig, denn es bedeutet, dass wir verändern und bewirken wollen. Und dass Du dabei auch noch mein Video mit der Besprechung der Ecke erwähnst, schmeichelt besonders.
Du verwendest den Begriff des Modells. Das interpretiere ich so, dass es stellvertretende Werke, Abläufe oder Dinge allgemein gibt, die exemplarisch wirken können. Der Begriff ist mir aus der Didaktik der 70iger geläufig.Über diesen Aspekt des Exemplarischen, des Modells als Teil der Wirkung dessen, was wir tun, werde ich noch einmal nachdenken. Das hatte ich bisher nicht in dieser Deutlichkeit auf meinem Schirm.
Na ja, und der Verweis auf Hegel bedeutet für mich, dass ich da noch was nachlesen muss.
Alles Gute, Juergen
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Hallo Jürgen,
da war ich mir ziemlich sicher, dass wir da etwas gemeinsam haben. Das Verfolgen Deiner Arbeit auf den blogs, die Projekte und Aktionen, die Ihr startet, lassen doch den Schluss zu, das es darum geht, den Dingen nachzuspüren, auf der Spur zu sein. Und dadurch verändern sich auch die DInge mit denen man umgeht, werden Holzschnitte mit Computerausdrucken kombiniert, entstehen scheinbar sehr unterschiedliche Sachen, die aber doch zusammengehören.
Ob ich diese Hegelschen Gedanken je entdeckt, bzw. überhaupt entdeckt bzw. verstanden hätte ohne einen engagierten Philosophiedozenten, der damals an unserem Kunst-Fachbereich entsprechende Seminare zu ästhetischen Fragestellungen abgehalten hat, wage ich doch sehr zu bezweifeln. Aber das waren für mich mit die wichtigsten Dinge in diesem Kunst-Studium und ich zehre noch heute davon. Neben ein paar anderen, ebenfalls nicht unwichtigen Dingen, die dort passiert sind…
Liebe Grüße
Klaus
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Ich finde den Gedanken des Vorstellens und damit Änderungen bewußt oder unbewußt hervor rufen sehr interessant.
Und natürlich hast du recht, Klaus, mit der Community und den Fragen, die wir gemeinsam im Blog stellen, arbeiten wir auch neue Thesen heraus, bringen uns auf neue Gedanken und wie Billiardkugeln streben wir alle nach diesen Impulsen in neue aufregende Richtungen.
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Ursprünglich wollte ich mich an dieser Diskussion beteiligen, nun sehe ich aber, dass in diesem Kommentar alles gesagt ist, was ich zu sagen gehabt hätte 😉
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Liebe Mützenfalterin!
Auch die Absicht zählt und freut mich. Danke schön!
Aus meiner Sicht ist meine Frage auch schon sehr vertiefend beantwortet und diskutiert worden, obwohl ich noch durchaus bei der Frage der Wirkung von Kunst auf die Innenwelt von Menschen noch Diskussionsbedarf sehe.
LG Juergen
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Hallo Jürgen, spannende Fragen:
Ich glaube nicht, dass man sich durch künstlerisches Schaffen der Realität entziehen kann. Kunst hat für mich etwas Ausgleichendes, ermöglicht Besinnung, erfordert aber auch höchste Konzentration und ist daher auch anstrengend. Durch konzentriertes Arbeiten blendet man häufig seine Umgebung aus. Das hat für mich weniger mit der Kunst als mit der Konzentration zu tun. Wer schon einmal Kinder beim Spielen beobachtet hat, weiß wie perfekt Kinder ihre Umgebung ausblenden können, um sich voll und ganz dem Spiel zu widmen. Deswegen würde ich die erste Frage -zumindest für mich- mit Nein beantworten.
Ist es die Aufarbeitung der uns umgebenden Wirklichkeit? Hier habe ich Schwierigkeiten mit dem Begriff der Aufarbeitung. Ich nehme wahr, suche aus, setze um und gebe wieder. Wenn ich Aufarbeitung so verstehe, dann trifft es zu. Kunst sollte Teil der gesellschaftlichen Prozesse sein. Sie ist für mich aber überwiegend unpolitisch. Ich habe auch nicht den Anspruch, mit Kunst politisch wirken zu wollen. Da gibt es effizientere Wege.
Gruß
Oli
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Hallo Oliver!
Es freut mich, dass Du auf meinem Blog mit einem Beitrag dabei bist.
Ich verstehe Dich so, dass Du Kunst machen als Beschäftigung mit der Wirklichkeit verstehst und nicht als Rückzugsraum und Flucht. Es fällt mir aber auf und es irritiert mich, dass Du gleichzeitig Begriffe wie „Kunst als Ausgleich“ und „Besinnung“ verwendest. Für was soll den das Kunstmachen ausgleichen? Und auf was gilt es sich zu besinnen, den Sinn zu suchen? Also Kunstmachen doch im Rückzugsraum?
Deine Schwierigkeiten mit meine Begriff „Aufarbeiten“ haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe den Begriff nicht bewusst, sondern unbewusst verwendet und mir wird durch Deinen Hinweis nun deutlich, dass mein Versuch mein Leben mit Hilfe meiner Kunst zu begreifen tatsächlich Arbeit bedeutet: täglich, pflichtbewusst, diszipliniert, produktorientiert usw. Aber, und das ist mir auch wichtig: es ist lustbetont, macht Spaß und Freude und ist gut für das Selbstwertgefühl. Aber ich lerne aus Deinem Hinweis, dass ich es vielleicht bisweilen doch lockerer angehen sollte. Verkrampfung ist ja schlecht.
Alles Gute, bis bald
Juergen
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Verkrampfung ist generell schlecht, denn in der Kunst ist eine gewisse Lockerheit notwendig.
Das heißt nicht, dass die Kunst nicht zielorientiert oder thematisiert sein kann.
Ich erkenne, wenn ich mich an einem Thema quäle, dann nehme ich es mir immer wieder vor, bis ich bestimmte Rhythmen verinnerlicht und Denkprozeße abgeschlossen habe und somit einen gewissen Streßabbau bemerke und die Darstellung damit die Lockerheit gewinnt, ohne die Aussage zu verlieren.
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Du hast offenbar einen/Deinen Weg gefunden. Ich helfe mir damit, dass ich versuche, den Druck rauszunehmen, die Aktivitäten verlagere und die Zeitschiene verändere.
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Hallo Jürgen,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Jetzt hast Du mich noch weiter zum Nachdenken gebracht, was gut ist. Kunst hat etwas Ausgleichendes zum restlichen Leben und es hilft mir, mich auf das Leben oder über das Leben zu besinnen. Damit ist es aber keine Flucht vor der Wirklichkeit sondern ein Mittel, die Wirklichkeit sinnhaft zu erleben. Schwere Worte!
Ich frage mich immer, warum die ersten Menschen die Wände ihrer Höhlen mit Tiermotiven und Jagdszenen bemalt haben. Für mich ist das Kunst. War es eine Flucht vor der Wirklichkeit? Oder diente es dazu, mit der Wirklichkeit umzugehen und sie zu verarbeiten, was ich eher glaube. Damit wäre ich dann sehr nah an der von Klaus angeführten hegelschen Ästhetik, dessen Beitrag ich sehr gern gelesen habe.
Grüße
Oli
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Hallo Oliver!
Also, in Bedrängnis wollte ich Dich nicht bringen.
Sinnhaftes Erleben und mit Wirklichkeit umgehen: das ist für mich gut nachvollziehbar. Ich denke, da stehe ich auch.
Wenn sich mir in der Wirklichkeit manchmal ein Problem stellt und ich es nicht lösen kann oder „los werde“ – wie auch immer -, dann hat die Beschäftigung mit meiner Kunst auch einen psychohygienischen Effekt: Indem ich mit meinen kreativen Mitteln das Problem umreiße, fasse ich es und löse mich von ihm.
LG Juergen
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Hallo Oliver,
schön, dass hier der Begriff des Spiels auftaucht. Das Spielen selbst ist, denke ich mal, ein ganz wesentlicher Bestandteil künstlerischer Arbeit.
Und was machen Kinder, wenn sie spielen?: Sie „arbeiten“ die sie umgebende Realität „auf“, wenn man diesen Begriff verwenden will. Sie ahmen die reale Welt nach, eignen sie sich dadurch an und erarbeiten sich dadurch Potential, in dieser Welt zu bestehen, resp. sie auch ggf. nach ihren Wünschen zu gestalten.
Liebe Grüße
Klaus
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Lieber Klaus,
sehr treffend formuliert! Ich denke in die Richtung werde ich auch schreiben, die Tage.
Beste Grüße Ute
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Lieber Jürgen,
eine seeehr schöne Frage, kann man sie wirklich vielschichtig auffassen? Wahrscheinlich ja – die Antwort aber kaum, denn wir haben nur ein SEIN, dieses Leben in Kunst unterscheidet sich nicht von unserem ‚anderen‘ Leben. Die Fragen, die das Leben an mich heranträgt, werde ich so lösen wie ich es vermag, egal ob ein künstlerisches oder ein ‚Alltags‘-Problem dahinter steht. Ob ich etwas ‚aufarbeite‘, was heißt das? Heißt das bewältigt? Heißt das geklärt? Ich zeige was ist, auf eine Art, die mir zu eigen ist, und wir haben einen Konsens darüber, welche Mittel jetzt künstlerisch sind, das Ausfüllen meiner Steuererklärung lässt sich schwerlich damit vereinbaren – ist aber auch Bestandteil meiner Realität und sie zeigt auch etwas auf, was ist – ich kann mich damit aber nicht künstlerisch profilieren. Es gibt Klischees die man bedienen könnte, der Künstler wäre sowas wie ein Clown, der den Menschen etwas zeigt (wie schön/schrecklich/absurd ihre Existenz doch ist) – ich verneine das einfach mal…
vlG Tobias
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Hallo Tobias!
Danke für Deinen Kommentar.
Deinen ganzheitlichen Ansatz kenne ich ja schon aus diversen Gesprächen, kann ihn gut nachvollziehen und finde mich da in vielen Ansätzen wieder. Und dass jeder mit seinen ihm eigenen Mitteln, aber möglichst bewusst, an sein Leben herangehen sollte, teilen wir, so glaube ich, auch als Ansicht.
Die Rolle des Künstlers in diesem gesamten gesellschaftlich-kapitalistischen Spiel sollten wir aber noch einmal genauer beschauen – so verstehe ich Deinen letzten Satz. Ich bin dabei. Wir werden sicherlich bald ausreichend Zeit in Geldern bei unserem nächsten Projekt dazu haben.
Dass Du mit meinem Wort „Aufarbeitung“ Schwierigkeiten hast, hat mich nachdenklich gemacht. Auch Oliver Kohl ging es so. Ich habe in der Antwort auf seinen Kommentar versucht, mir Klarheit zu verschaffen. Lies dies bitte einmal.
LG Juergen
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Pingback: Die Macht der kulturelle Ausstrahlungskraft – Zeichnung von Susanne Haun « Susanne Haun -> Drawing -> Zeichnung -> Dibujo -> 水彩画
Hallo Susanne!
Vielen Dank für das Aufgreifen meiner Frage auf Deinem Blog. Es freut mich, dass Du Dich so intensiv mit ihr beschäftigt hast. Und um ehrlich zu sein: ich hatte schon erwartet, dass Du Dich zu Deinem „Kunst leben“ in der Form bekennst, dass es für Dich keine Flucht aus der Realität ist. Was Du ja auch spontan getan hast. Und die von Dir aufgezählten berühmten Beispiele zeigen ja, dass Du Dich da in guter Tradition befindest.
Indem Du den Begriff der Macht im Zusammenhang mit Kunst erwähnst, der in einem ersten Reflex im allgemeinen immer so negativ belegt ist, erahne ich, dass Dich die Frage der Wirkung von Kunst im Sinne von Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit beschäftigt. Hier ist unsere Schnittstelle. Dieser Frage versuche ich genauer auf die Spur zu kommen. Das unsere Kunst wirkt, u.a. auch durch unsere Blogs, ist klar. Aber wie genau? Wie intensiv? Womit? Wann? Alles andere ist mir noch zu unscharf.
Vielleicht hilft da unsere Blogparade ein kleines Stück weiter.
LG Juergen
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Ich habe längere Zeit darüber nachgedacht und begonnen, mich kunsthistorisch mit den letzten 100 Jahren auseinander zu setzen. Dabei habe ich festgestellt, wie sehr die Kunst verändern kann, wie z.B. die Arbeit Matta -Clarks die Architekten inspiriert hat, wie Robert Smithson mit seiner Landart auf die Natur und Geologie eingeht. Wie Begriffe neu definiert werden.
Es fasziniert mich völlig.
Ich frage mich, ob die Künstler der letzten 100 Jahre von diesen Veränderungen wußten, die sie auslösten oder ob sie genau wie wir in Kaffees saßen und sich genau dieselben Fragen fragten, die wir uns fragen….
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Deinen Hinweis auf die Kunsthistorie und die Beziehung zwischen der Kunst und gesellschaftlichen Veränderungen finde ich mehr als interessant. Ein guter Hinweis!
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Hallo Jürgen, hallo Buchalov! Spannende Frage. Ich bin kein Künstler, aber ich stelle mir das so vor: der Künstler flieht die Realität, indem er durch sie hindurchgeht um am Ende wieder bei ihr anzukommen. Am Anfang steht/stand die Nachahmung, das buchstäbliche Be-Greifen, mit Händen oder Augen. Und die Erschütterung. Die schrecklichsten Gräueltaten der Menschheit sedimentierten über Jahrtausende als Mythen ins kollektive Unterbewußte um schließlich ihre glorreiche Wiederauferstehung in Form prächtiger Bilder zu feiern. Die Ikonografie der Bildenden Kunst zehrt vom Fundus dieser Geschichten und scheut in der bildhaften Darstellung vor keiner Drastik. Aber indem wir es betrachten und uns – schaudernd – daran erfreuen ertragen wir die Realität unseres Daseins. Oder wie Nietzsche das formulierte: in der Kunst bewundern wir, was wir im Leben nicht aushalten würden. Aber natürlich bewirkt die Kunst nichts. Sie verändert nicht die Welt. Die Mächtigen der Welt schmücken sich mit ihr. Sie macht keine besseren Menschen, sondern lässt Menschen besser aussehen. Selbst ein Beethoven konnte durch die anfängliche Widmung seiner dritten Symphonie an Napoleon nicht verhindern, dass dieser die Ideale der französischen Revolution mit Füßen trat. Und ich denke, Künstler sind Menschen wie wir alle. Sie machen ihre Arbeit, gehen darin auf, wenn sie gut sind, selbstversunken, der Welt abhanden kommend, bisweilen. Wie alle, die für eine Sache brennen, der Wissenschaftler, der Koch, der Tischler, ein spielendes Kind. Und brennen, das muss der Künstler. So will ihn die Gesellschaft, damit sie sich an ihm ergötzen kann. Künstler heute sind entweder ums Überlebend kämpfende Idealisten, oder Marionetten der Hochfinanz, die ihre globalen Geldströme durch das Sammeln von Kunst rein wäscht. Aber was wäre die Welt ohne Kunst! Ein Jammertal. OK, das ist sie auch so, aber ein schönes, wenigstens! Ein letztes von mir zum Thema Kunst und Realität, oder Kunst und Natur, eine nette Anekdote: Jackson Pollock soll ausgerufen haben, als ihm ein Mentor riet, sich mehr nach der Natur zu richten: ich bin die Natur! Schöne Grüße in die Runde. Stefan.
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Hallo Stefan!
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich hatte ihn schon gestern abend gelesen, aber ich wollte darüber schlafen, weil er so inhalts-mächtig ist und uns alle im Thema weiterbringt.
Du hebst unsere bisherige Diskussion von der persönlichen Künstler – Ebene auf die Ebene der Funktion von Kunst in der Gesellschaft und dem Menschsein. Hier sei, so Deine Aussage, die Kunst in der Funktion des Filters. Sie soll das Schreckliche erträglich machen.
So kann man das sehen. So sehen das auch viele. Dies ist eine Sicht von Kunst, von der ich weiß, die aber in meinem künstlerischen Schaffen bisher keine Rolle gespielt hat. Es ist eine Sicht von Kunst auf der Metaebene. Ich aber mache Kunst und ich will nicht erträglich machen, sondern klären.
Und sie bewirke nichts, sie verändere nicht die Welt. Dies ist sicherlich richtig, wenn man auf das Große schaut. Im Kleinen aber wirkt sie, ständig, bei uns Künstlern, bei denen, die auf die Werke schauen. Nur wie und wann und mit welchen Konsequenzen? Das erschließt sich mir leider zu wenig. Und das Alles hat auch Konsequenzen für das Große und führt zu Veränderungen in der Gesellschaft, kleinschrittig. Nur wie und wann und wie kann man es messen, erfahren?
Es stimmt, die Gesellschaft hat ein bestimmtes Bild vom Künstler. Der Künstler als Unterhalter ist dabei eine Facette. Gern genommen wird auch der arme, finanziell am Hungertuch nagende Künstler, der in seinem Rückzugsraum Atelier, alleine mit sich und der Idee, aus der Not heraus Großes schafft, weil nur das ihm hilft seine erbärmliche Situation zu überwinden. Der Künstler als Exot. Der Künstler, der stellvertretend für die Gesellschaft leidet. Usw.
Und das Kunst eine Ware ist, stimmt natürlich auch. Nur ging es mir mit meiner Frage um dieses Thema weniger.
Wenn die Welt ohne Kunst ein Jammertal wäre, wie Du schreibst, dann reduzierst Du Kunst auf das Erträglich machen. Das greift für mich zu kurz. Die Welt ist auch mit der Kunst in vielem ein Jammertal. Aber Du hast recht: ohne Kunst und Künstler würde schon was sehr Wichtiges und Existentielles und Notwendiges fehlen.
LG Juergen
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Pingback: Dritte Etappe unser Blogparade: Fragen zur Kunst #bfzkunst « Bilder, Aquarelle vom Meer & mehr – von Frank Koebsch
Hallo Jürgen, vielen Dank für deine sehr präzisen Hinweise. Du hast Recht, ich habe das Große betrachtet, vielleicht etwas pauschal oder sogar polemisch. Ich spitze gern zu. Du schreibst, deine Kunst solle nicht das Leben erträglich machen, sondern klären. Kunst als Erkenntnis. Vielleicht habe ich eine Ahnung davon, was du meinst. Konkret: Im Hamburger Bahnhof zu Berlin stand ich neulich vor einem Bild Twomblys. Riesige Leinwand, unten ein dunkelgrünes Farbknäuel vor der Andeutung eines zartrosafarbenen Abendhimmels, ein paar Farbspritzer, dazu handschriftlich „I am Thyrsis, blessed with a tuneful voice“. Sonst alles weiß. Nichts. Mein erster Gedanke war: wow, so ein verschwenderischer Umgang mit Leinwand, soviel Luft, großzügiges Freilassen, Atmen. Ich war bewegt und befreit zugleich. Jeder Kleingeist hätte die Leinwand akribisch ausgenutzt. Hier aber ist alles frei, gelassen, groß. Und diese Erfahrung nehme ich tatsächlich mit in mein Leben, meinen Alltag. Es nimmt eine Last von mir (macht erträglich), aber klärt es was? Ich glaube schon. Das dunkelgrüne Farbknäuel schlägt Schneisen in die Wahrnehmung meiner Umgebung. Ich schaue, gerade im Alltag, anders, vielleicht genauer hin. Wie das so ist mit starken Bildern – man bekommt sie nicht mehr aus dem Kopf, und eins zieht das andere magisch an. Wenn ich jetzt dunkelgrün sehe, höre ich eine Stimme in meinem Kopf. Vielleicht ordnet sich manches in meinem Kopf neu. Geht das in die Richtung die du mit „klären“ meinst?
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Genau!
Kunst, Kunstwerke wirken ja auf Kopf und Bauch. Und verändern in Nuancen, in kleinsten Schritten die Wahrnehmung der uns umgebenden Welt -wenn wir es wollen, wenn wir uns für die Wirkung des Werkes geöffnet haben. Das ist mit klären gemeint: das, was uns umgibt, wird klarer, deutlicher, verständlicher, bewusster.
Nochmals vielen Dank für Deinen Beitrag- der geholfen hat zu klären.
LG Juergen
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Sehr schönes Beispiel mit dem Twombly Bild. So funktionieren diese Dinge und so trägt sich das in den Alltag und so wirkt es denn auch. Allerdings, wie Armin weiter unten schreibt: natürlich nicht messbar. Aber es trägt! (Und da passt denn auch, das ebenso gut gewählte Beethoven-Beispiel aus dem ersten dilettantischen Kommentar: Die Widmung der dritten Symphonie an Napoleon ist eine falsch verstandene politische Wirkung von Kunst; das ist eher „literarisch“ gedacht, der Musik aufgepropft und hat mit der eigentlichen Wirkung der Musik herzlich wenig zu tun…interessanter finde ich da schon Goyas Capriccios oder Desastres de la Guerra…: das wirkt bis auf den heutigen Tag beim nicht abgestumpften Betrachter).
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Danke für die Ergänzung!
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„Mich interessiert: die Abbildung der Welt. Die Frage, die mich beschäftigt, lautet: Wie sieht die Welt aus …“ sagt David Hockney in einem Interview in der Zeit: http://www.zeit.de/2012/44/Maler-David-Hockney-99-Fragen/seite-4
(Ich mag ja bekanntermaßen Hockney sehr. Und Munch. Und Vermeer. Und Delacroix …)
Ich beobachte die Welt, die „Realität“. Malerei ist für mich ein Vehikel, mit dem ich die Welt entdecke. Ich sehe & beobachte die Welt, diese Beobachtungen filtere & transformiere ich über die Malerei.
Ich male Bilder, um etwas über die Welt & über mich selbst zu erfahren. Sie geben dem Betrachter die Möglichkeit eines Einblickes, wie ich die Welt wahrnehme und über sie denke – gleichzeitig geben sie ihm eine Möglichkeit, sich selbst wahrzunehmen.
Es ist ein Prozess, bei dem ich mich zwischen den Dingen und den Bildern der Dinge bewege.
Das Bild ist demnach keine wiedergebende, sondern eine gestaltende, Gestalt gebende Instanz für mich.
So gesehen flüchte ich nicht aus der Realität. Ich untersuche sie, beziehungsweise ich untersuche einen Teil meiner Realität. Diese Beobachtungen haben mit mir zu tun, aber ich nehme an, dass sie auch für den offenen Betrachter von einer gewissen Relevanz sind. Aber ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner Arbeit wenige Menschen erreiche – also der „Wirkungsgrad“ eher bescheiden ist. Vor einiger Zeit schrieb Dir ja auch, dass es mir zunächst auch ziemlich egal ist, ob & wie meine Arbeit wirkt. Mit einiger Sicherheit kann ich sagen, dass meine künstlerische Arbeit auf mich & mein Leben wirkt. Sie beeinflusst jeden Bereich; die Art & Weise, wie ich über viele Dinge denke & wie ich handele wird bestimmt von einer Struktur, die etwas zu tun hat mit meiner Auffassung von Bildern. Als Maler schlägst Du morgens die Augen auf & siehst Bilder. In der Nacht träumst Du von & in Bildern. Das hat Auswirkungen. Auf Dein Leben.
Sind meine Untersuchungen relevant? Politisch? Teil eines gesellschaftlichen Prozesses? Wirkt sie? Alles Fragen, auf die es keine messbaren Antworten gibt. Fragen, die mich eigentlich auch nie bewegt haben. Ich tue das, was ich tue, weil ich es tue. Gesellschaftlich relevant erscheint mir eher die Tatsache, dass ich Vater dreier Kinder bin. Politisch denkend & handelnd bin ich ja schon, wenn ich den Müll trenne – ich bin mir sicher, dass all dies meinen Bildern inhärent ist. Irgendwie. Einerseits versuche ich, Bilder losgelöst von mir zu malen, andererseits sind sie unntrennbar mit mir verbunden. Aber es spielt für den Betrachter keine Rolle – er hat seine eigenen Bilder im Kopf, seinen eigenen Erfahrungshintergrund. Ich persönlich glaube auch, dass beispielsweise Interventionen im öffentlichen Raum, eine gewisse Form von Street Art, mehr zeigen kann, wie Teile der Bevölkerung ticken & somit wohl anders wirken als meine Arbeit, die ja doch eher in Räumen zu sehen ist, wo der Betrachter Kunst erwartet, also auch auf ein kleines Publikum beschränkt ist. Zwangsläufig. Die Beschäftigung mit Kunst in solchen Räumen bleibt oft elitäre & privilegierte Beschäftigung & dient oft der Zerstreung & Schmückung. Leider.
Auch ich habe in den Fragestellungen ein wenig Probleme mit dem Begriff „aufarbeiten“, ich weiß auch nicht, was Du mit kreativ-kritischer Distanz meinst. Künstlerische Freiheit ist etwas sehr schönes. Wird aber oft – soweit ich es beobachten kann – missverstanden. Verantwortung für mein Tun & Handeln trage ich zuerst immer als Mensch. Aber der Mensch ist nicht vom Künstler zu trennen.
Gibt es eigentlich wirklich ein „sinnfreies“ Arbeiten? Ich kann mich während der Arbeit vergessen, ich kann völlig zurückgezogen arbeiten. Trotzdem kann diese Arbeit wichtig für einen Betrachter sein, für die Gesellschaft. Wichtig ist für mich auch immer der Zusammenhang, in dem künstlerische Arbeit gezeigt wird – sowohl der räumliche als auch der zeitliche Zusammenhang können meine Arbeit, meine Intentionen beeinflussen & verändern.
Aber eigentlich möchte ich nur in aller Bescheidenheit arbeiten. Mir persönlich klingen diese Fragen zu gewichtig, deswegen haben sie sich mir in dieser Form wohl noch nie gestellt. Ich tue, was ich tue, weil ich es tue.
Reaktionen auf meine Arbeiten sind herzlich willkommen. Wenn meine Bilder eine Wirkung auf den Betrachter haben, dann kann ich sie aber nicht messen. Wenn sie etwas bewegen, dann ist es – in aller Bescheidenheit – weder messbar, noch wichtig für mich. Ich habe weder Sendungsbewusstsein, noch will ich die Welt missionieren.
Meine Bilder sollen für sich stehen. Selbstständig. Eigenständig.
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Hallo Armin!
Danke für Deinen Beitrag, danke für die Ausführlichkeit. Was soll man da noch sagen? Ein mächtiger Kommentar!
Noch ein paar Worte zum Begriff „ausarbeiten“. Auch ich untersuche genau wie Du und viel andere einen Teil der Realität, meinen Teil und für mich ist das Arbeit. Lustvoll zwar, aber Arbeit, mit vielen Energien verbunden, mit lernen, mit geistiger Arbeit, mit Dialogen, Lob, Kritik. der ganzen Palette von Ernsthaftigkeit halt. Die Ursache sehe ich in der Tatsache begründet, dass ich als Autodidakt immer auf der Suche nach dem Weg bin und Selbstzweifel mir nicht fremd sind. Ich weiß, dass Lockerheit und Gelassenheit in der Arbeit mit Sicherheit nicht schaden. Dass Bemühen darum steht bei mir ganz vorne.
Und der Weg der Suche ist halt kreativ – kritisch, weil sie geprägt ist von einer kreativen-produktiven Vorgehensweise, die durch kritisches Hinterfragen der Wirklichkeit, der Situationen, der Personen in Situationen, der Zusammenhänge hoffentlich Klärendes hervorbringt.
Bis bald, LG Juergen
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Als Musiker hier zwei kurze Bemerkungen zu diesem Thema:
Ich kann ernsthaft an einem Stück, das ich gerade komponiere arbeiten, dann ist das keine Flucht aus der Realität, genausowenig wie es Flucht ist wenn ich 8 Stundem im Büro am PC sitze. Es ist aber auch nicht unbedingt die Aufarbeitung der Reallität wenn ich kreativ bin, sondern spielt sich in einer eigenen Welt ab in der die Regel der Musik gelten. Einflüsse aus der Realität wie gehörtes oder die aktuelle Stimmung wirken aber auf jeden Fall auf diesen Prozess ein.
Es gibt aber Momente wo ich dann die Musik nutze um mich zu erholen, abzureagieren, zu entspannen – die Musik gibt mir dann die Möglichkeit zur Flucht aus der Realität, kann aber auch schon wieder Ideen für neues geben.
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Hallo Jürgen, es gibt viele interessante Beiträge zu Deiner Frage, und in Deinen Blog werde ich bestimmt öfter einmal reinschauen. Ich versuche zu Deiner konkreten Frage zu antworten. Nach längerer Überlegung denke ich, dass es in der Kunst kein entweder/oder gibt, sondern nur ein „und“.mit vielen „kann“ Optionen. Meiner Meinung nach kann kreatives Schaffen Flucht vor der Realität, manchmal notwendige Flucht (z.B.Cezanne), sein, und kann Aufarbeitung sein, und kann politisches Anliegen zum Ziel haben.und und und…. Ich würde das auch nicht werten wollen. Es hängt von der einzelnen Persönlichkeit ab, welche Vorgehensweise bewusst oder unbewusst gewählt wird, und es muss auch nicht immer die gleiche Herangehensweise des Einzelnen bleiben. Für das geschaffene Kunstwerk ist lediglich wichtig, ob der gewählte Weg der geignetste Weg war, den wahren künstlerischen Ausdruck des Schaffenden hervorzubringen. Die Blogparadenfragen finde ich immer richtig gut, sie bringen einen näher heran zum eigenen Kunstverständnis.
viele Grüsse aus Bremen
Helen
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Hallo Helen!
Ich war schon oft auf Deiner Seite, habe Deine Arbeiten immer mit Faszination angeschaut und daher freut es mich besonders, dass Du zu meiner Frage Stellung nimmst.
Du bringst die Bedeutung der Persönlichkeit bei der von mir gestellten Frage ins Spiel. Das ist gut, denn wichtig. Niemand kann ja über seinen Schatten springen. Die prägenden Elemente unserer Persönlichkeit sind existent und wirken. Sie sind, da hast Du recht, bestimmend bei Frage, in welcher Form die eigene Kunst geschieht. Und ob mehr die Innenwelt oder die äußere Wirklichkeit den Wirkungen unseres Handelns unterliegt.
Bis bald, alles Gute
Juergen
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Hallo Jürgen,
interessante Frage, interessante Beiträge. Frage und Antworten beiderseits, die zum intensiven Nachdenken anregen. Antworten die wirklich nur jeder für sich beantworten kann.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei meiner Arbeit mir selbst noch nie die Frage gestellt habe, ob es eine Flucht aus der Realität ist oder ob es Aufarbeitung der Gegenwart ist oder dergleichen. Auch intensives Nachdenken hat mich nicht wirklich zu diesem Punkt gebracht. Jedoch hat das Nachdenken eine Welle von persönlichen Fragen aufgeworfen, die mich so beschäftigt haben, dass ich sogar unruhigen Schlaf hatte oder auch das Gefühl plötzlich gewissermaßen gehemmt zu sein, indem was ich sonst spontan erarbeitet habe. Ist das was ich gerade tue eine Flucht aus der Realität? Arbeite ich gerade die Gegenwart auf?
Soweit meine Erinnerung zurück reicht, hatte ich schon als Kind ständig den Drang mich irgendwie künstlerisch zu betätigen, was sich dann in der Pubertät ziemlich verstärkte. Ich musste kreativ sein, es war kein Zeitvertreib. Dieser Zustand hat sich bis heute angehalten. Ich muss künstlerisch arbeiten Ja, es war eine Rückziehmöglichkeit für mich, ein Schutzwall, soviel ist mir jetzt klar. Wenn ich Probleme hatte, habe ich mich in eine andere Welt gebeamt, wenn ich malte. Die Probleme wurden allerdings nie zum Thema in meinen Arbeiten. Auch heute nicht. Da meine Arbeiten oft sehr materialgesteuert sind, sehe ich in dem Material was ich vor mir habe bereits die Idee und das fertige Objekt vor Augen.
Aus deinen Kommentaren höre ich immer wieder heraus, dass du als Autodidakt immer auf der Suche bist und dich immer wieder in Frage stellst. Ich kann nur sagen, dass ich meinen Eltern dankbar bin, dass sie mir nach meiner Schulausbildung, kein Kunststudium bieten konnten. Mein autodidaktisches Studium habe ich bis heute akribisch beibehalten. Ich habe mir keine Meinungen aufdrängen lassen, mich in keine Richtung drängen lassen, aber war immer ein guter Zuhörer und habe alles Interessante in mich hinein gesaugt. Habe überlegt und nachgedacht und bin mir immer treu geblieben. Das Wichtige ist doch, dass man mit dem was man tut im Reinen ist, ständiges Nachdenken über Kritiken von außerhalb würden mich von meinem Weg abbringen. Und schlussendlich ist doch der Weg das Ziel. Ich genieße es meine künstlerische Freiheit auszuüben.
Kunst ist sicherlich ein Aphrodisiakum, sie vermag Schmerz und Leid vergessen lassen, aber für mich ist es keine Flucht aus der Realität – man kann sich ihr einfach nur nicht entziehen der Kunst.
Abschließend noch einen Satz von Novalis: Nur ein Künstler kann den Sinn des Lebens erraten.
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Hallo Gaby!
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag.
Wenn Du von Deiner Kindheit erzählst und beschreibst, wie Du Dich in der Kunst aus der Welt „gebeamt“ hast, dann hatte dies sicherlich den Charakter von Rückzug. Und diente Deiner psychischen Stabilität. Kinder bauen und leben ja oft in solch selbst geschaffenen Welten. Das ist gut so.
Das Autodidaktische beschäftigt mich schon. Ich weiß, dass wir als Autodidakten genau so Suchende sind wie der ausgebildete Künstler – uns also nicht zu verstecken brauchen. Dennoch habe ich immer ein ungutes Gefühl, wenn man sich dazu bekennt, weil es genügend Signale aus der kollegialen Künstlerschaft, von Juroren oder Galeristen usw. gibt, die einem die fehlende Gleichwertigkeit signalisieren. Es ist ähnlich wie mit Frauen in Männerberufen: Frauen müssen da oft mehr an Qualität nachweisen als die Männer, um anerkannt zu werden. Dieses ungute Gefühl ist neben der Lust an der Suche, dem Entdecken meine kreative Triebfeder. Man kann es auch Arbeit nennen. Offensichtlich fällt Dir das leichter – sei froh drum.
Und es stimmt, was Du schreibst: man kann sich der Kunst nicht entziehen und ich will es auch nicht, denn es ist ein ausgesprochen wichtiger Teil von mir.
LG, bis bald Juergen
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Pingback: Ist Kunst Flucht aus der Realität oder die Aufarbeitung der Wirklichkeit ? « Bilder, Aquarelle vom Meer & mehr – von Frank Koebsch
Hallo Frank!
Ich danke Dir für Deinen Beitrag – eine umfangreiche Angelegenheit. Solche Mühe macht sich nur jemand, der sich von der Frage angesprochen fühlte und dem Fragenden damit seine Wertschätzung signalisiert. Nochmals Dank!
Dass Du die „Subfragen“ so genau abgearbeitet hast, hat mich veranlasst, sehr genau zu lesen und mein bisher vom Netz geprägtes Bild von Dir habe ich nun um viele persönliche Aspekte Deines Künstlerseins erweitern können. Das freut mich. Es bringt mir Dich näher.
Auch Du stolperst über das Wort „Aufarbeitung“. Dazu habe ich ja schon einiges geschrieben.
Du teilst mit mir die Auffassung, dass Kunst auch Psychohygiene ist.
Du legst großen Wert auf die menschlichen Kontakte in Deinem kreativen Schaffen – auch das verbindet uns.
Und Du beschreibst schön die Dialektik zwischen „Spielen“ und „Ernsthaftigkeit“, die auch mich treibt.
Das verbindet uns und es gibt sicherlich noch mehr.
Alles Gute, bis bald
Juergen
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Hallo Jürgen,
ich habe versucht, auf Deine Fragen einzugehen. Diese Mühe habe ich gemacht, weil es wichtig war. Auf dieses Weise erfährt man etwas mehr über sich. Nur hatte ich die Zeit unterschätzt und musste den Artikel freischalten und am Sonntagmorgen erst Korrektur lesen 😉
Nun es war schon sehr interessant die Beiträge zu verfolgen.
Beste Grüße
Frank
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Hallo Jürgen,
leider habe ich bisher kaum Zeit gefunden, mich wirklich mit deiner Frage zu befassen, aber ich denke ich sehe es in etwa so:
Kunst ist eine Flucht aus der „Realität“ zumindest, aus dem was gemeinhin als Realität definiert ist. Denn während des Kunstschaffens befinde zumindest ich mich in meiner ganz eigenen Welt. Das ist mir auch sehr wichtig, weil es da eben um Selbsterkenntnisse durch das „Spiel“ der Kunst ist, ähnlich wie es oben schon erwähnt wurde. Aber, da meiner Meinung nach die eigene Welt eines jeden Menschen selbstredend ein ganz wichtiger Teil seiner eigenen Realität ist, da sie in dem Moment der Tätigkeit ja Teil seines Lebens ist, ist Kunst eben doch keine Flucht aus der „Realität“!
Was ist den eigentlich „die Realität“? Es kommt doch immer auf die Definition an – im Heiligen Antonius lässt Flaubert den Teufel sagen „Bist du sicher, das du bist?“
LG Ute
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Hallo Ute!
Das mit der knappen Zeit kenne auch ich. Von daher freut es mich besonders, dass Du einen Kommentar geschrieben hast.
Und der nimmt den Begriff der Realität in den Blick und definiert ihn umfassender. Ich habe das immer die Innen- und die Außenwelt des Künstlers genannt.Es stimmt: Kunst kann auf der Basis ein solch umfassenden Definition von Wirklichkeit keine Flucht aus der Realität sein.
LG Juergen
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Ja Jürgen, ich bin auch froh, dass ich es noch geschafft habe, denn irgendwie war deine Frage die ganze Woche schon in meinem Kopf und dann und wann haben sich Gedanken und Antworten dazu gebildet, was ja auch immer in persönlicher Gewinn ist – es wäre Schade gewesen, das Ergebnis nicht mitzuteilen…
Lg Ute
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Pingback: Wird bildende Kunst überbewertet….? « Coco Niehoff -Künstlerin
Pingback: Vierte Etappe unser Blogparade: Fragen zur Kunst #bfzkunst « Bilder, Aquarelle vom Meer & mehr – von Frank Koebsch
Kunst ist für mich die Darstellung meines unbewussten Gefühls.
Meine Auffassung von Kunst muss nicht mit der Ansicht von Experten übereinstimmen.
Künstlerisches Empfinden ist mir fast wichtiger als die Liebe, hingegen die Erotik ist ein künstlerisches Element.
Doch Priorität hat für mich die Lebenskunst. An sich zu glauben und sich durchzusetzen.
Denn die meisten Menschen ordnen sich einem System, einer Ideologie oder gar einer Religion unter.
Und sobald man sich unterordnet ist der Geist und das künstlerische Schaffen vernichtet.
Um Kunst darzustellen bedarf es oft Leid und Schmerzen.
Bei mir habe ich festgestellt, dass ich nur ein Werk schaffen kann, wenn ich mich in einem seelischen Tief befinde.
Es ist mir nicht wichtig, dass meine Werke von Experten gewertet werden, sondern der „naive“ Mensch ist für mich maßgebend. Denn der „naive“ Mensch ist unverdorben und unbefangen.
Außerdem besitzt er natürlicher Weise, die Begabung für das „richtige“ Sehen.
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Hallo Wally!
Danke für Deinen Beitrag.
Kunst und Leben sind eins und Kunst ist Freiheit des Geistes: das kann ich mittragen. Dass aber Kunst nur aus Leid und Schmerz entsteht, sehe ich anders. Wenn Kunst das Leben ist, dann entsteht sie auch aus der Freude heraus, aus dem Spaß, aus der Liebe usw. Und auch die Theorie vom „naiven Menschen“, der die Gabe des „richtigen Sehens“ besitzt, muss ich aus meiner Sicht mit Fragezeichen versehen, denn ich weiß nicht, was ein „naiver Mensch“ und was „richtiges Sehen“ ist, und ob es dies überhaupt gibt.
Alles Gute
Juergen
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It is both.
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May be,
greetings Juergen
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